Okuli, St. Petri 2022
Liebe Freunde in Christus!
Es gibt zwei Tatsachen über Gott, die die Heilige Schrift für uns festgehalten hat und die man nicht übersehen darf: Gott wie ein Schatz ist – der am Ende eines Drahtseils zu finden ist. Erstens: Gott ist wie ein Schatz. Menschen neigen dazu, sich Gott irgendwie klein und menschlich vorzustellen. Aber die Heilige Schrift sagt, dass nur ein einziger Tag in Gottes Gegenwart besser ist als sonst tausend (Ps 84,11) – besser als alles, was wir sonst auf dieser Erde finden. Alles Gute, was wir uns vorstellen können; alles Erstaunliche, das wir je geschmeckt, gesehen oder erlebt haben – Gott ist besser als all das zusammen. Es mag schön sein, das neugeborene Enkelkind in Armen zu halten – aber Gott ist besser. Es mag erholsam sein, für einige Tage frei zu haben – aber Gott ist besser. Er ist der Einzige, der immer gut ist; der uns nie verlässt; der souverän ist; der die Kontrolle hat. Er liebt, vergibt und hat Erbarmen mit uns. Es gibt daher nichts auf dieser Welt, was auch nur annähernd mit Gott vergleichbar wäre.
Gott ist ein Schatz… der am Ende eines Drahtseils zu finden ist. Denn Gott ist nicht einfach nur eine höhere Macht. Er ist das Gute und die Liebe schlechthin. Zu solch einem Gott wandert man nicht einfach so oder versucht eben sein Bestes. Man muss den perfekten Weg gehen, um zu diesem Schatz zu gelangen. In unserer Zeit und Kultur verwechseln viele Menschen Gott mit einem netten Opa, der ein bisschen besser ist als wir Menschen. Viele machen den Weg zu ihm daher leicht: „Gib dein Bestes“, sagen sie. Oder: „Sei ein guter Mensch. Lerne aus deinen Fehlern.“ Nichts davon sagt die Heilige Schrift. Sie gibt vielmehr Worte Gottes wieder, wie das folgende:
Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.
Weil Gott heilig und liebevoll gegenüber allen Menschen zu allen Zeiten ist, sollen wir das auch sein. Will man zu Gott gelangen, gleicht es daher einem Drahtseilakt. Schritt für Schritt. Und schaffen wir es, zu ihm zu gelangen, bekommen wir den größten Schatz im Universum. Allerdings darf man sich bei seinem Weg über das Drahtseil keinen einzigen Fehltritt erlauben. Zu anderen Gelegenheiten entspräche es einer guten Leistung, wenn wir 9 von 10 Mal das Richtige tun. Aber läuft man über ein Drahtseil ist bereits ein Fehltritt tödlich. Und dennoch neigen wir Menschen zu dem Denken, dass es schon okay wäre, wenn wir mal einen Fehler machen: „Schließlich bin ich nur ein Mensch. Aber ich werde daran arbeiten und es das nächste Mal besser machen.“ Nur entspricht das nicht dem, was die Heilige Schrift sagt.
Der Gedanke daran ist irgendwie beängstigend. Ich meine, gelangen wir zu Gott nur auf einem Drahtseil, bedeutet das, dass wir über jedes Wort nachdenken müssen, das wir sprechen; über jede Entscheidung, die wir treffen. Könnten wir da jemals zu ihm gelangen?
Aber es gibt noch eine dritte Tatsache, die die Bibel uns sagt: Jesus Christus bietet an, uns über das Drahtseil zu bringen. Jesus taucht in unserem Leben auf, lächelt uns an und fragt: „Soll ich dich über das Seil tragen?“ Stellen wir es uns plastisch vor: Man springt Huckepack auf den Rücken von Jesus. Man schlingt die Arme fest um seine Schultern. Und dann wagt er seinen ersten Schritt auf das Drahtseil. Wären uns in einem solchen Moment Jesu Entscheidungen wichtig? Ich für meinen Teil würde wohl beten wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich würde den Atem anhalten. Denn vermasselt es Jesus, würde das auch mich betreffen. Fällt er, bin auch ich weg. Aber schafft er es, dann komme ich zu Gott, dem besten aller Schätze.
In der Kirche denken wir oft über die gute Nachricht von Jesu Tod nach. Er starb am Kreuz, um all unsere Sünden wegzunehmen. Und das ist absolut wahr und wunderschön. Was aber leicht vergessen wird, ist das Leben Jesu. Hätte Jesus nicht jeden Schritt in die richtige Richtung getan; wäre er nicht vollkommen gut, heilig, liebevoll und herrlich; hätte er auch nur einer einzigen Versuchung nachgegeben – ratet, was mit euch und mir passieren würde?
Vor 2.000 Jahren betrat Jesus ein Drahtseil mitten in der Wüste. Ihr und ich hingen auf seinen Schultern. Würde es Satan gelingen, das Drahtseil auch nur ein einziges Mal ins Wanken zu bringen, so dass Jesus strauchelt, würden wir unsere Erlösung verlieren. Schafft es Jesus dagegen, Schritt für Schritt beständig und stark zu bleiben, dann können wir – trotz unserer Schwächen, trotz unserer Kämpfe und Sünden, trotz unseres Versagens – jeden Tag für den Rest der Ewigkeit in der Gegenwart des größten Schatzes aller Zeiten verbringen.
Heute öffnen wir die Heilige Schrift und betrachten ein weiteres Moment in Jesu Leben, der für unsere Errettung nötig war. In den Passionsandachten hatten wir bereits damit begonnen und Jesu Taufe und sein Gebet im Garten Gethsemane genauer betrachtet. Unser Predigttext heute stammt aus dem Lukasevangelium, Kapitel 4, und wir beginnen bei Vers 1. Dort heißt es:
Jesus aber, voll Heiligen Geistes, kam zurück vom Jordan und wurde vom Geist in die Wüste geführt und vierzig Tage lang von dem Teufel versucht. Und er aß nichts in diesen Tagen, und als sie ein Ende hatten, hungerte ihn.
Vierzig Tage lang, also etwa sechs Wochen, war Jesus ganz allein in der Wüste unweit des Jordans. Und dort gab es… nichts. Das folgende Gemälde des Malers Iwan Kramskoi zeigt das sehr anschaulich:

Wir sehen Jesus. Für 40 Tage und Nächte war er in der Wüste. Es gab nichts zu sehen. Da war niemand, mit dem er hätte reden können. Keine Nahrung war zu finden. Keinerlei Ablenkung bot sich dem Heiland. Nur er allein. Und der Teufel wartete, bis Jesus einsam, hungrig und müde war, um zu erscheinen und das Drahtseil ins Wanken zu bringen.
Bevor wir uns die erste Versuchung anschauen, möchte ich eine Frage stellen: Wie verhalten wir uns, wenn wir müde sind und schon länger nichts mehr gegessen haben? Beschreiben die Worte liebevoll, barmherzig, geduldig und freundlich unser Verhalten zutreffend? Es ist schon krass, was mit unseren Gehirnen und Körpern geschieht, wenn unsere Bedürfnisse nicht gestillt werden. Die Gedächtnisleistung lässt nach. Die Kraft fehlt irgendwann. Exakt das nutzt der Teufel hier aus: Er wartete 6 Wochen, bis Jesus vollkommen erschöpft und wacklig auf den Beinen war, um ihn dann in Versuchung zu führen. Vers 3:
Der Teufel aber sprach zu Jesus: Bist du Gottes Sohn, so sprich zu diesem Stein, dass er Brot werde.
Das ist nicht unbedingt die Art Versuchung, die man erwarten würde. Einen Stein in Brot zu verwandeln, erscheint nicht böse, oder? „Tu ein Wunder“, so wollte es der Teufel Jesus einreden. „Du bist schließlich der Sohn Gottes. Was sollte falsch daran sein, ein Wunder zu tun?“ Es ist eine seltsame Art und Weise, wie der Fürst des Bösen den Gottessohn in Versuchung führen möchte.
Aber denken wir kurz nach: Was verlangte der Teufel hier von Jesus? Er sagt mit seiner Versuchung letztlich: „Jesus! Anstatt auf Gottes Willen zu achten, warum nutzt du nicht deine Macht, um deinen Schmerz zu lindern? Bist du der Sohn Gottes, dann bist du auch allmächtig und kannst Wunder vollbringen. Ja, du kannst alles tun. Warum nutzt du nicht deine Kraft, um diese für dich schmerzhafte Situation zu beenden?“
Den Schmerz zu vermeiden, mag nicht als große Sache erscheinen, solange Jesus in der Wüste ist. Aber könnt ihr euch einen Zeitpunkt vorstellen, in der es für uns sehr schlimm gewesen wäre, hätte Jesus seine Macht genutzt, um seinen Schmerzen auszuweichen? Als Jesus wenige Jahre später am Kreuz hing, wiederholten seine Feinde die Versuchung des Teufels. Denkt an ihre spöttischen Stimmen: „Bist du der Sohn Gottes? Dann steig herab vom Kreuz. Du hast doch so vielen Menschen geholfen, hilf dir nun selbst! Beweise es uns. Beende deinen Schmerz!“
Die erste Versuchung ist interessant. Ich weiß nicht, wie es euch geht: Aber ich vermeide Schmerzen so weit wie möglich. Im großen und ganzen ist mir der Unterschied zwischen richtig und falsch bewusst. Aber fühle ich mich unwohl, müde oder hungrig, dann mache ich hier und da kleine Abstriche, nur um in eine Situation zu gelangen, in der ich mich besser fühle.
Jesus tat das – Gott sei Dank – nicht. In Vers 4 unseres Textes heißt es:
Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben (5. Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht allein vom Brot.«
Als Jesu Gehirn und Körper müde und erschöpft waren, zitierte er die Heilige Schrift. Er starrte nicht auf den Stein und dachte: „Weizen oder Vollkorn?“ Nein, sein matter und schwacher Körper erinnerte sich an den perfekten Bibelvers. Er stammt aus dem 8. Kapitel des 5. Buches Mose. Wir werden gleich den Kontext hören. Denn Jesus hätte keine besseren Worte des Alten Testaments wählen können, um gegen die Versuchung des Teufels zurückzuschlagen. Im 5. Buch Mose heißt es nämlich:
Und gedenke des ganzen Weges, den dich der HERR, dein Gott, geleitet hat diese vierzig Jahre in der Wüste, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit kundwürde, was in deinem Herzen wäre, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht. Er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich mit Manna, das du und deine Väter nie gekannt hatten, auf dass er dir kundtäte, dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des HERRN geht.
Ist das nicht erstaunlich? Wie einst die in die Wüste geführten Kinder Israels, war Jesus hungrig. Aber anders als die Israeliten schimpfte und murrte er nicht gegen Gott, sondern er vertraute. Jesus wurde geprüft, aber sein Fuß strauchelte nicht, so dass er euch und mich zu Gott bringen kann.
Der Teufel muss mit seinen spitzen Zähnen geknirscht haben. Aber er war noch nicht fertig mit Jesus. Die zweite Versuchung finden wir in Vers 5 unseres Textes. Dort heißt es:
Und der Teufel führte ihn hoch hinauf und zeigte ihm alle Reiche der Welt in einem Augenblick und sprach zu ihm: Alle diese Macht will ich dir geben und ihre Herrlichkeit; denn sie ist mir übergeben und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du mich nun anbetest, so soll sie ganz dein sein.
Stellt euch für einen Moment lang vor, ihr wärt obdachlos. Ihr habt gerade 40 Tage und Nächte in der Kälte des erzgebirgischen Winters verbracht. Man kann die eigene Kleidung riechen. Ein Schauer durchfährt alle Knochen. Der Magen schmerzt und bettelt um Gnade. Nun lauft ihr durch die Stadt und kommt an dem großen Schaufenster eines Nobelhotels vorbei. Drinnen findet gerade ein großes Festmahl statt. Dampf steigt von köstlichen Lammkoteletts auf. Direkt daneben steht der in Zitronenpfeffer eingelegte Lachs. Gemüse aller Art ist zu finden und erfüllt den Raum mit seinem Duft. Das Wasser läuft euch im Mund zusammen und ihr klebt förmlich an der Scheibe. Plötzlich hört ihr eine Stimme: „Hunger?“ Ihr schaut zur Tür und seht einen fremden Mann. Dieser spricht weiter: „Ich kann dich ins Hotel bringen. Ich kann dir sogar ein Zimmer besorgen. Dort findest du ein weiches, warmes Bett – das beste der Stadt. Und du kannst eine heiße Dusche nehmen, die du vermutlich lange nicht mehr gehabt hast.“ Wie von einem Magneten angezogen, bewegt ihr euch in die Richtung des Fremden. Aber dann sagt dieser plötzlich: „Alles, was du tun musst, ist, vor mir auf die Knie zu gehen. 30 Sekunden vor mir verbeugen – dann hast du es auch schon geschafft und ich bringe dich ins Hotel.“
Was würdet ihr tun? Ich bin nicht sicher, wie Versuchungen in eurem Leben funktionieren. Aber wenn ich in Versuchung gerate, denke ich selten an die langfristigen Folgen. Möchte ich instinktiv etwas sagen oder tun, denke ich nur selten: „Na gut, dann halte ich erst einmal inne. Ich werde eine kurze Bibelarbeit machen, um zu sehen, was die Heilige Schrift zu diesem Thema sagt. Ich werde darüber beten und von meinen Freunden Rat und Weisheit einholen.“ Nein, Versuchungen geschehen in der Regel instinktiv. Wir sagen es und denken erst hinterher darüber nach. Wir sind frustriert oder erschöpft und gehen an die Decke. Erst im Nachgang reflektieren wir es geistlich. Wir handeln und greifen erst später nach unseren Bibeln. Hätte es Jesus ebenso getan, ihr und ich hätten einen langen Absturz vom Drahtseil gehabt.
Aber – Gott sei Dank – er tat es nicht. Als Jesus all das sah, was die Welt zu bieten hat – die Königreiche und ihre Pracht – antwortete er in Vers 8 folgendermaßen:
Jesus antwortete ihm und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 6,13): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.«
„Nicht heute, Satan. Ich liebe Gott und vertraue ihm. Ich tue, was er will. Ich bete dich nicht eine einzige Sekunde lang an und wenn du mir die ganze Welt anbietest. Denn mein Vater ist mein wahrer Schatz. Du kannst mir all die Bequemlichkeiten und Vergnügungen bieten, aber ich habe etwas unendlich besseres: die Gegenwart meines Gottes. Deshalb diene ich ihm allein.“ Und mit dieser Antwort tat Jesus einen weiteren Schritt in Richtung des Vaters.
Der Teufel aber hatte seinen härtesten Schlag bis zum Schluss aufgehoben. Im Text heißt es nun weiter:
Und er führte ihn nach Jerusalem und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich von hier hinunter; denn es steht geschrieben (Ps 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen befehlen, dass sie dich bewahren. Und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
Der Teufel ist ziemlich schlau, oder? „Du bist ein Mann der Bibel, Jesus? Ist es nicht Psalm 91, Verse 10 und 11, wo Gott, dem die Engel dienen, sagt, dass er ihnen befehlen wird, dich zu bewahren? Und nicht nur das: Sie werden dich auf den Händen tragen. Nicht möglicherweise oder vielleicht. Sie werden dich tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt. Liebst du also Gottes Wort, dann spring. Gott wird dich schon auffangen. Du vertraust ihm doch, oder nicht?!“ Was für eine brillante und gleichzeitig böse Versuchung. Einen Ausschnitt der Bibel aus dem Zusammenhang zu reißen und auf diese Weise etwas zu sagen, was die Bibel gar nicht lehrt. Aber genau das ist die Spezialität des Teufels, die er Jahrtausende lang perfektioniert hat.
Haben wir oder jemand, den wir kennen, schon einmal einen Ausschnitt aus der Bibel zitiert und ihn zu etwas gemacht, das die Heilige Schrift nicht wirklich sagt? Wie wäre es beispielsweise mit Folgendem: Gott hat uns wunderbar gemacht. Ist das wahr? Ganz sicher! Und Gott macht keine Fehler. Stimmt das? Ja, natürlich. Was auch immer wir also fühlen, was wir wünschen oder wie wir orientiert sein, kann deshalb kein Fehler sein. Schließlich kommt es ja von Gott, der keine Fehler macht. Ist das wahr?
Oder wie wäre es damit: Gott ist die Liebe. Und Gott liebt bedingungslos. Stimmt das? Ja, klar! Seine Liebe zu uns gründet nicht auf unserem Verhalten oder unseren Entscheidungen. Er liebt uns, weil er uns liebt. Er kann uns nicht mehr lieben als jetzt im Moment. Und er kann uns nicht weniger lieben als jetzt in diesem Moment. Was auch immer wir also tun, Gott wird uns am Ende dennoch lieben und niemals verurteilen. Oder?
Noch ein Beispiel: Gott ist allwissend. Er weiß deshalb, was wir denken. Er weiß, was wir wollen und brauchen. Er ist schließlich Gott. Stimmt das nicht? Deshalb brauchen wir eigentlich gar nicht zu beten. Schließlich kennt Gott unsere Gedanken. Wir müssen uns also keine Zeit fürs Gebet nehmen. Immerhin weiß Gott doch alles. Stimmt die Aussage so?
Und noch ein letztes Beispiel: Gott vergibt Sünden. Ist das nicht die Wahrheit? Er vergibt nicht einige unserer Sünden oder nur die nicht so schlimmen Sünden. Nein, er vergibt alle Sünden durch das Blut Jesu. Egal also was wir tun oder wie wir uns verhalten: Gott vergibt uns. Richtig? Wenn wir also in Versuchung geraten, müssen wir nicht wirklich dagegen ankämpfen oder unsere Sünde als Schaden betrachten. Denn Gott ist ein vergebender Gott. Und seine Gnade ist jeden Morgen neu. Ist das nicht wahr? Ob wir also einer Versuchung nachgeben oder nicht – wir haben in jedem Fall Vergebung.
Die dritte Versuchung ist die schwerste von allen: nicht nur eine halbe Wahrheit zu nehmen und sie wie die volle Wahrheit erscheinen zu lassen, sondern die richtige Wahrheit zur richtigen Zeit gegenüber der richtigen Person anzuwenden. Der Teufel in seiner gerissenen und schlauen Art versuchte, einen kleinen Vers aus dem Zusammenhang des 91. Psalms zu reißen.
Aber – Gott sei Dank – hat sich Jesus nicht einer der am schnellsten wachsenden Konfessionen unserer Tage angeschlossen: einem Christentum, das Bibelstellen nur zu gern aus dem Zusammenhang reißt. Stattdessen antwortete er auf die folgende Weise:
Jesus antwortete und sprach zu ihm: Es ist gesagt (5. Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
„Satan, du hast wohl kaum den Rest des Psalms gelesen. Dort geht es nicht darum, dumme Dinge zu tun und die Engel für die eigenen Fehler büßen zu lassen. Es geht darum, Gott zuerst zu vertrauen und dann zu wissen, dass er Engel schicken wird, um Menschen zu beschützen. Es ist übrigens auch der Psalm, in dem es heißt, dass Gottes Volk ‚junge Löwen und Drachen – Schlangen – niedertreten‘ wird. Das hast du allerdings nur zu gern ausgelassen.“
Und so sprang nicht von der Zinne des Tempels. Und so brauchte er uns in seinem vollkommenen Gehorsam einen weiteren Schritt näher zu Gott. Selbst der Teufel musste anerkennen, dass Jesus zu gut für ihn war. Er rüttelte mit all seiner dämonischen Macht an dem Drahtseil. Doch Jesus war vollkommen gehorsam.
Deshalb heißt es in Vers 13 dann auch:
Und als der Teufel alle Versuchungen vollendet hatte, wich er von ihm eine Zeit lang.
Satan hörte für den Moment auf, am Seil zu rütteln. Es wird nicht die letzte Gelegenheit sein, in der Jesus großen Anfechtungen ausgesetzt sein würde. Aber die Versuchung Jesu in der Wüste war ein wichtiger und großer Schritt auf dem Weg zu unserer Errettung. Als unser Schatz auf dem Spiel stand; als unsere Erlösung in Gefahr war, blieb Jesus stark, standhaft und gut. Und er tat es an unserer Stelle und für uns. Oder mit anderen Worten: Als der Versucher Jesus versuchte, widerstand unser Heiland. Als der Teufel alles auffuhr, was er zu bieten hatte – seine stärksten Verlockungen und ausgeklügeltsten Pläne – war Jesus stark im Gehorsam. Er war gut. Er war es für euch und für mich.
Meine Lieben, viele von uns mögen es praktisch. Wir mögen es, wenn wir etwas tun können oder unsere nächsten Schritte kennen. Nichts davon passt zu unserem heutigen Text. Es wäre eine falsche Auslegung, würden wir nun sagen: „Jesus zitierte die Bibel in der Anfechtung. Tun wir es ihm gleich.“ Das würde uns nur erneut aufs Drahtseil führen, welches wir dann allerdings ganz alleine überqueren müssten. Nein, meine Lieben, hier geht es nicht um unser Tun und Wollen. Hier geht es nicht darum, sich über unseren Gehorsam Sorgen zu machen. Unser Text heute lädt uns einfach nur dazu ein, die Arme um Jesu Schultern zu legen, uns von ihm tragen zu lassen und ihm dabei zuzusehen, wie er einen Schritt nach dem anderen in Vollkommenheit tut.
Eine Sache können wir aber sagen: „Danke, Gott! Ich mache Fehler und sündige oft. Aber Jesus hält mich fest. Ich schaue daher nicht im Spiegel auf meine Rechtschaffenheit oder dass ich aus eigener Kraft makellos wäre. Ich weiß, dass ich das nicht bin. Deshalb hält mich Jesus fest und ich ihn. Wenn Gott der Schatz am Ende eines Drahtseils ist, kann es nicht um mich gehen. Es muss sich alles um Jesus drehen, der mich in die gute Gegenwart des himmlischen Vaters führt.“
Schauen wir also auf Jesus. Er ist vollkommen. Er ist makellos. Er ist rechtschaffend. Und er bringt uns heute und jeden Tag – eine ganze Ewigkeit lang – in die Gegenwart des größten Schatzes aller Zeiten. Es ist so, wie Luther einst dichtete:
Mit unsrer Macht ist nichts getan, / wir sind gar bald verloren; / es streit’ für uns der rechte Mann, / den Gott hat selbst erkoren. / Fragst du, wer der ist? / Er heißt Jesus Christ, / der Herr Zebaoth, / und ist kein andrer Gott, / das Feld muss er behalten.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.