Diese Frage kann man auch auf andere Art und Weise stellen: Gibt es verschiedene „Grade der Herrlichkeit“ im Himmel? Die kurze Antwort lautet „Ja“. Bevor wir die etwas ausführlichere Antwort bedenken, müssen wir zunächst zwei Dinge festhalten.
Erstens: Verschiedene „Grade der Herrlichkeit“ sind nicht zu verwechseln mit verschiedenen „Graden der Seligkeit“. All jene, die den Himmel erreichen, sind genau das: voll und ganz selig. Denn dass wir in den Himmel kommen, ist nichts anderes als ein Geschenk, das durch Jesu Blut erworben wurde und welches uns durch den Glauben gehört. Den Himmel kann man sich nicht verdienen (vgl. Gal 2,16). Denken wir an Jesu Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 19,12-27). In dieser Beispielgeschichte erhalten alle Arbeiter denselben Lohn, obwohl einige von ihnen den ganzen Tag und andere nur eine Stunde gearbeitet hatten. Das verdeutlicht: Der Himmel ist und bleibt ein Geschenk aus lauter Gnade und Liebe Gottes (vgl. Röm 6,23) – ganz unabhängig von unseren Werken und Leistungen. Daher genießen alle Seligen die Gegenwart Gottes und werden zur vollen Genüge haben, was Gott ihnen zuvor verheißen hat, z. B. Ruhe, Frieden, ungetrübte Freude, Sündlosigkeit, usw.
Zweitens: Verschiedene „Grade der Herrlichkeit“ lehrt die Heilige Schrift dagegen schon. Aber auch hier müssen wir vorsichtig sein. Der Begriff „Grade“ oder „Plätze“ könnte nämlich missverstanden werden – nach dem Motto: Kommt man in den Himmel, leben manche in luxuriösen Wohnanlagen, andere dagegen müssen sich mit einer kleinen ärmlichen Behausung abfinden. Die Formulierung „verschiedene Grade“ lässt uns vielleicht an die irdische Unterscheidung von mehr bzw. weniger bedeutenden Menschen denken. Oder wir verbinden es mit Dingen wie Neid oder Stolz. Diese Gedanken haben im Himmel aber keinen Platz, denn es handelt sich um einen vollkommenen Ort ohne Sünde. Das betrifft auch die Liebe. Wir werden uns vollkommen lieben und uns über den Segen des Anderen ganz ungetrübt freuen können.
Die Formulierung „Grade der Herrlichkeit“ will uns etwas anderes verdeutlich: Gott wird den Gläubigen gemäß ihres Dienstes für Christus während ihres Erdenlebens zusätzliche Belohnungen schenken. Jesus spricht in seiner Bergpredigt über solche Belohnungen: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden.“ (Matthäus 5,11f). Im Gleichnis von den anvertrauten Talenten erhält einer der Knechte eine Belohnung von zehn Städten aufgrund seines treuen Dienstes, ein anderer eine Belohnung von fünf Städten (Lukas 19,12-27). Als Jesus nach besonderen Plätzen im Himmel gefragt wurde, bestritt er nicht, dass es privilegierte Orte in der Nähe des Vaters geben könnte. Er sagte: „Aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben steht mir nicht zu. Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist von meinem Vater“ (Mt 20,23). Auch beim Propheten Daniel (Dan 12,3) und bei Paulus (1 Kor 3,8.12-14) finden wir Gedanken in diese Richtung. All das zeigt, dass Gott den treuen Dienst eines Christen während seines Erdenlebens im Himmel belohnen wird.
Machen wir es noch ein wenig praktischer. In Matthäus 10,42 lehrte Jesus: „Und wer einem dieser Kleinen auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch: Er wird nicht um seinen Lohn kommen.“ Auch hier geht es wieder um eine Belohnung. Und noch etwas wird deutlich: Gibt man einem Kind einen Becher kalten Wassers, kann dieses Kind das vermutlich nicht belohnen (es nicht zurückzahlen) – Gott dagegen kann und tut es. Zu anderer Gelegenheit sagte Jesus: „Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“ (Lukas 14,13f). Der Gedanke ist derselbe wie bei einem Kind und dem Becher kalten Wassers. Die Armen können es einem nicht vergelten, was man ihnen Guten getan hat. Gott dagegen kann es. Das zeigt uns: Gute Werke sollen wir nicht wegen menschlicher Anerkennung oder des Lohnes wegen tun. Nein, das Evangelium ermuntert uns einfach dazu. Und wenn wir in den Himmel kommen, wird Gott sagen, dass er die guten Werke gesehen hat und sie uns vergelten. Wenn also zum Beispiel auf Arbeit alle Kollegen über den einen Angestellten herziehen und wir in solch einem Moment einfach weggehen, weil wir uns an Klatsch und Tratsch nicht beteiligen, mag das keinen Menschen interessieren. Gott aber sieht es. Oder man vergibt einem Menschen, über den alle anderen sagen, dass sie das Recht hätten, böse auf ihn zu sein. Gott sieht auch das. Oder man lebte maßvoll, obwohl man sich die tollsten Dinge hätte leisten können. Stattdessen nutzte man aber einen Teil seines Geldes, um die Armen zu unterstützten. Gott sieht auch das und wird es im Himmel vergelten.
Zusammengefasst: Ich weiß nicht ob „Grade“ ein gutes Wort dafür ist, aber im Himmel wird es eine Art der Freude und Belohnung geben, die in Verbindung zu den guten Werken steht, die wir in diesem Leben getan haben. Allerdings können wir nicht sicher sein, wie genau diese Belohnungen aussehen werden. Bei Daniel klingt es zum Beispiel danach, dass manche im Himmel heller leuchten (Dan 12,3). Aber wie dem auch sei, mit Gewissheit dürfen wir festhalten: Diese Belohnungen werden keinen egoistischen Stolz bei denen auslösen, die sie bekommen. Ebenso wird es auch keinen Neid bei den Menschen geben, die sie nicht empfangen. Diese Belohnungen sind einfach zusätzliche Zeugnisse der überreichen Gnade unseres gnädigen Herrn. Zum Schluss ein Bild zur Verdeutlichung: Im Himmel wird der Becher unseres Glückes immer randvoll sein. Wir haben alle einerlei Freude und Seligkeit. Manche Seligen haben einfach nur einen etwas größeren Becher.