Gnade

St. Petrigemeinde ZwickauAllgemein, Predigten

Okuli, St. Petri 2021

Liebe Freunde in Christus!

Vor einigen Jahrzehnten kam eine große Konferenz gelehrter Menschen in Großbritannien zusammen. Inhalt der Gespräche war unter anderem die Frage, ob es etwas Einzigartiges am christlichen Glauben gibt? War es vielleicht die Tatsache, dass Christen ein heiliges Buch haben, von welchem sie glauben, dass es von Gott stammt? Wohl nicht – andere Religionen haben ebenso ihre heiligen Bücher. Oder war es das Gebet – das Gespräch mit einer höheren Macht – welches dem Christentum seine Einzigartigkeit verleiht? Nein, das Gebet findet sich in vielen Religionen. War es der Glaube an ein Leben nach dem Tod? Nein. War es Dogmatik? Nein. Waren es Gebote? Nein. Oder religiöse Leiter mit lustigen Hüten auf dem Kopf? Nein, die meisten Religionen haben das.

Während die Gelehrten noch miteinander debattierten, – so will es die Legende – betrat C. S. Lewis den Raum. Der berühmte Literaturwissenschaftler der Universität von Oxford war zunächst Atheist gewesen. Bis er intensiv über das Christentum nachdachte und mit Anfang 30 durch Gottes Gnade Christ wurde. Ihm nun wurde die Frage ebenfalls vorgelegt: „Gibt es etwas Einzigartiges am christlichen Glauben – an deinem Glauben?“ Ohne überlegen zu müssen, antwortet er: „Das ist einfach. Gnade.“

C. S. Lewis hatte recht. Vergleicht man all die Religionen, Philosophien und Glaubenssysteme miteinander, findet man recht bald heraus, dass es die Lehre von der Gnade Gottes ist, die das einzigartig macht, was Jesus und seine Nachfolger verkündeten. Liest man die vier Evangelien oder die neutestamentlichen Briefe, stellt man fest, dass diese Menschen nicht im allgemeinen Sinn dieser Welt religiös waren, sondern auf eine ganz bestimmte Art und Weise, die auf dem Wort „Gnade“ beruht.

Das Neue Testament ist voll davon: Gnade erreicht Menschen. Gnade erscheint Menschen. Gnade wird ausgegossen auf Menschen, so dass sie Gnade finden; Gnade empfangen; aus Gnade glauben und Gnade austeilen. Ist man ein Christ, wurde man aus Gnade erwählt, berufen durch die Gnade, allein aus Gnaden gerettet und gerechtfertigt durch die Gnade. Ein Christ lebt in der Gnade und unter der Gnade. Gnade ist mit uns. Gnade wirkt in uns. Und wir sollen uns an der Gnade genügen lassen. Gnade fließt über, Gnade wächst, Gnade regiert, Gnade kräftigt, Gnade gewährt Zugang zu Gott. Deswegen setzen wir unsere Hoffnung auf die Gnade, wachsen in der Gnade und verkünden die herrliche Gnade Gottes. Das ist eine ganze Menge Gnade.

Und obendrein noch diese interessante Feststellung: Die Heilige Schrift besteht aus 66 Büchern. Das letzte dieser Bücher ist die Offenbarung des Johannes. Diese besteht aus 22 Kapiteln. Und das letzte Kapitel hat 21 Verse. Wisst ihr, was das letzte Buch, der letzte Vers, ja, das letzte Wort der gesamten Heiligen Schrift ist? Sagt es mit mir: Es ist das Wort… „allen“. Entschuldigt – ich habe euch reingelegt. Aber der letzte Vers spricht tatsächlich von der Gnade. Denn in Offenbarung 22,21 heißt es:

Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen!

Die Heilige Schrift besteht darauf, dass die Gnade das letzte Wort hat. Denn Menschen, die an Jesus glauben und ihm nachfolgen, sind nicht nur ganz allgemein gesprochen „religiös“. Beten wir? Klar. Haben wir eine Dogmatik? Ja. Sind wir im Besitz eines heiligen Buches. Absolut. Aber was diesen Glauben objektiv einzigartig macht, ist dieses eine kleine Wort – „Gnade“.

Das provoziert natürlich die Frage: Was ist das? Worin besteht die einfache Definition für das Wort „Gnade“? Ich kann mir kaum einen besseren Ort vorstellen, eine solche Definition zu finden, als die Geschichte des Mannes, der zum Aushängeschild für das Wort „Gnade“ wurde. Wir nennen ihn den Apostel Paulus. Seine Eltern gaben ihm allerdings den Namen Saulus. Dieser Mann schrieb später 28 Prozent des Neuen Testaments, mehr als ein Viertel also. Aber er allein ist für 73 Prozent der Vorkommen des Wortes „Gnade“ im NT verantwortlich. Gott wählte Paulus dazu aus, 13 Briefe zu schreiben – an die Römer, Galater, Korinther, usw. Am Anfang jedes einzelnen Briefes steht im Briefkopf das Wort Gnade. Und jeder von ihnen endet ebenso mit dem Wort Gnade. Egal also, mit wem Paulus redet, immer wollte er sicherstellen, dass das erste und das letzte Wort „Gnade“ ist. Denn das ganze Leben des Apostels war durch Gnade verändert und geformt worden.

Heute wollen wir auf die Begebenheit blicken, bei welcher Paulus von Angesicht zu Angesicht mit der Gnade konfrontiert wurde. Es geschah Mitte der 30er Jahre nach Christus und sollte die Welt für immer verändern. Unser Predigttext stammt heute Morgen aus der Apostelgeschichte, Kapitel 9. Dort heißt es:

Paulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.

Paulus war ursprünglich – das machen diese Worte mehr als deutlich – kein Freund Jesu. Alle Anhänger des neuen Weges – einer frühen Bezeichnung für das Christentum – lagen seiner Meinung nach absolut daneben. Sie waren Gotteslästerer, weil sie in den Augen des Paulus einem gotteslästerlichen Betrüger gefolgt waren. Paulus war dabei überaus religiös. Zutiefst im jüdischen Glauben verwurzelt, liebte der das Alte Testament. Und er war davon überzeugt, dass Jesus nicht der Messias sein konnte. Für ihn glich das Christentum einem Waldbrand, der drohte sich immer weiter auszubreiten – eine Bedrohung für seinen Glauben. Obendrein meinte er, von Gott dazu berufen zu sein, das um sich fressende Feuer zu stoppen. Später im Galaterbrief bekennt er über sich selbst:

Denn ihr habt ja gehört von meinem Leben früher im Judentum: wie ich über die Maßen die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu zerstören suchte und übertraf im Judentum viele meiner Altersgenossen in meinem Volk weit und eiferte über die Maßen für die Überlieferungen meiner Väter.

Auch unser Text bringt das zum Ausdruck, wenn es dort heißt:

Paulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn

Ob nun Mann oder Frau, Paulus würde niemanden wegen seines Geschlechtes diskriminieren, solange er alle Christen finden und sie nach Jerusalem gefesselt führen könnte. Dort hätte sie der Tod erwartet – für die einfache Tatsache, dass sie an Jesus glaubten. Paulus war überzeugt, das Richtige zu tun. Denn Jesus beanspruchte für sich Gott zu sein – aber für Paulus konnte er es unter keinen Umständen sein. Bis zu jenem Tag, an dem Paulus Gott begegnete und herausfand, dass dessen Name Jesus lautete. In unserem Text heißt es weiter:

Als Paulus aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.

Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.

Versucht euch für einen Moment in die Gedankenwelt des Paulus hineinzuversetzen. Ihr seid eine tiefreligiöse Person. Freundschaften, Familie, Besitztümer – all das ist für euch nichts im Vergleich zu Gott. Ihr lebt für Gott. Ihr würdet sterben für Gott. Der Name Gottes bedeutet alles für euch. Und deswegen war Paulus bereit, sechs Marathons zu laufen – nur für den Fall, er kriegt einen Christen zu fassen. Das ist die Entfernung zwischen Jerusalem und Damaskus: etwa 240km – höchstwahrscheinlich zu Fuß zurückgelegt. Aber das war es ihm wert: „Wenn ich nur einen Einzigen erwische, um der Ausbreitung dieser Irrlehre ein Ende zu setzen, dann hat es sich gelohnt.“ Aber dann?

umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel

Und die Stimme hallte in ihm nach: „Herr, wer bist du?“ Und die Antwort: „Jesus!“ Obendrein wurde er blind – drei Tage, an denen er nichts sehen kann. Er verfolgte niemanden mehr, sondern saß einfach nur da – 72 Stunden lang. Zu krank, um zu essen und zu trinken. Alles, was er noch konnte, war nachdenken. Und worüber muss er nachgedacht haben? „Ich habe im Widerspruch zu Gott gelebt! Ich dachte, ich hätte im Leben das Richtige getan – aber es war alles falsch. Ich bin den Kindern Gottes nachgelaufen, habe sie gejagt, ins Gefängnis gesteckt, bei ihrem Tod noch applaudiert.“ Drei Tage, drei Nächte – war das gewiss alles, was Paulus denken konnte. Wie eine Dampfwalze war er Richtung Damaskus geeilt, aber Jesus hatte sich ihm in den Weg gestellt. Der Aufprall war hart und sein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf gestellt.

Ist es euch auch schon einmal so gegangen? Ich meine nicht das Licht vom Himmel oder die physisch wahrnehmbare Stimme Jesu. Aber seid ihr jemals einem bestimmten Weg gefolgt in der vollen Überzeugung, es wäre genau das Richtige? Und dann machte Jesu das Licht an und weckte euer Gewissen. Vielleicht geht es uns gerade in der Passionszeit so, wenn wir das lesen oder hören, was Jesus über religiöse Menschen zu sagen hatte. Unsere Neigung ist ja die, positiv über religiöse Menschen zu denken. Beten ist eine gute Sache. In der Heiligen Schrift lesen ebenso. Aber dann liest oder hört man, dass es gerade die Menschen waren, mit denen Jesus die allergrößten Probleme hatte, die überaus religiös waren. Trifft uns nicht gerade das mitten ins Herz? Treffen uns nicht Jesu Worte, die er einst sagte:

»Dies Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir; vergeblich dienen sie mir, weil sie lehren solche Lehren, die nichts als Menschengebote sind.«

Ist man recht religiös und schon lange Mitglied einer christlichen Gemeinde oder sogar in einer großgeworden – bringen einen diese Worte unseres Heilandes nicht ins Nachdenken? Wie oft habe ich gebetet „Vaterunser im Himmel“; wie oft dieses oder jenes Lied gesungen; und wie oft vor dem Essen gesagt „Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast – und meine Lippen haben sich zwar bewegt, aber mein Herz? Wie viel Prozent meiner geistlichen Unterredungen mit Gott waren wirklich geistlich – und nicht nur formal?

Oder es geht uns so, wenn wir an jede Form organisierter Religion denken. Ich meine, es ist ja durchaus verständlich, dass viele heute skeptisch sind. Seit Wochen etwa durchzieht die deutsche Presse der mehr als schändliche Umgang mit Missbrauchsskandalen innerhalb der Kirche. Es ist zum Davonlaufen, meine Lieben! Aber es müssen gar nicht immer diese krassen Vorkommnisse sein. Hier zum Beispiel sitzen ganz verschiedene Menschen, mit ihren jeweils ganz eigenen Charakteren, Meinungen, Sünden und Verhaltensweisen. Das kann anstrengend und bisweilen auch abstoßend sein. Und die derzeitige Situation vereinfacht noch die Absonderung von der Gemeinde. Relativ leicht mögen sich Gedanken einstellen wie die Folgenden: „Gott und ich – wir sind doch uns nahe. Ich liebe Gott. Ich rede mit ihm. Ich feiere Gottesdienst. Eigentlich brauche ich gar keinen Ort wie diesen, um Gott nahe zu sein. Pastor. Kirche. Struktur. In ein Gebäude zu kommen, bringt mich doch kein Stück näher zu Gott. Vielleicht ist organisierte Religion ja gerade das Problem und wahre Frömmigkeit die Lösung.“

Aber dann liest man die Heilige Schrift. Und worum geht es da an allen Ecken und Enden? Um organisierte Religion! Im Alten Testament berief Gott den Mose dazu, die Leviten als Priester und Verantwortliche für den Gottesdienst abzusondern. Es gab Hohepriester und geistliche Feste. Es gab Strukturen, die man wahrnehmen sollte. Und dann denken wir an Jesus und wie er aufwuchs. Die Bibel bezeugt, dass es seine Gewohnheit war, den wöchentlichen Gottesdienst in der Synagoge zu besuchen. Jesus kannte die Makel und Sünden innerhalb der sichtbaren Kirche auf Erden besser als jeder andere. Aber was tat er – Woche für Woche? Den Gottesdienst besuchen. Natürlich kann es Ausnahmen geben – das will ich ganz klar sagen: Vorsicht und Rücksichtnahme während einer Pandemie meine ich an dieser Stelle ganz gewiss nicht! Sondern es geht um eine andere Form der ablehnenden Haltung.

Und wie war es in der frühen Christenheit? Sollte jeder einfach nur sein Ding machen und irgendwie mit Gott in Verbindung stehen. Nein, Paulus beispielsweise verbrachte den Rest seines Lebens damit, durch die damals bekannte Welt zu reisen und Gemeinden zu gründen. Und der überwiegende Teil der neutestamentlichen Briefe richtet sich an eben jene sichtbaren Ortsgemeinden. Im gesamten Neuen Testament finden wir kein einziges positives Wort für diejenigen, die meinen, ihr Glaubensleben auf eigene Faust bestreiten zu wollen. Und man liest und hört das und muss unweigerlich an alles Negative denken, was man hinsichtlich Kirche und Gemeinde gedacht und gesagt hat. Und Jesus spricht vom Himmel:

Ich bin Jesus, den du verfolgst.

Auf tausende Weise kann es denjenigen geschehen, die Jesus folgen: Jesus knipst das Licht seines Wortes an und wir fühlen uns überführt wie Paulus. Und dann ist immer die Frage: Was wird Gott mit mir machen?

Das fragte sich auch Ruth Graham. Ruth ist eines der fünf Kinder des bekannten Erweckungspredigers Billy Graham, der vor drei Jahren verstarb. Nach einer ziemlich hässlichen Scheidung vor einigen Jahren verliebte sich Ruth erneut. Alles ging sehr schnell. So schnell, dass ihre mittlerweile erwachsenen Kinder aus erster Ehe besorgt waren hinsichtlich ihrer Mutter und dem neuen Mann in ihrem Leben. Auch ihre Eltern dachten, dass sich ihre Tochter zu schnell in eine neue Beziehung stürzte, nachdem sie eine so schmerzvolle Scheidung hinter sich hatte. Aber Ruth ließ sich nicht abbringen, weil sie den Botschaften unserer Zeit Glauben schenkte: Du musst du selbst sein. Folge deinem Bauchgefühl und deinem Herzen.

Nur sechs Monate nachdem sie ihn kennengelernt hatte, ging Ruth ihre zweite Ehe mit diesem Mann ein. Aber nur einen Tag später – buchstäblich einen Tag später – erkannte sie es! Nun sah sie die Warnzeichen aus nächster Nähe, wegen denen ihre Eltern und ihre eigenen Kinder so besorgt waren. Nach einem Monat war sie voller Angst vor ihrem neuen Mann – so sehr, dass sie ihre Sachen packte und ihn verließ.

Ruth war beschämt. Jeder in ihrem Umfeld hatte es kommen sehen. Aber in ihrem sehnlichen Verlangen nach Liebe hatte sie die Augen vor der Wahrheit verschlossen. Und nun wollte sie im Boden versinken und alles verstecken. Ihren Eltern konnte sie nicht unter die Augen treten, um ihnen die herzzerreißende Nachricht zu überbringen. Natürlich wusste sie, dass sie nicht immer würde davonlaufen können. Sie konnte ihre Eltern nicht für immer meiden. Und so fuhr sie eines Tages nach Hause, um ihren Vater zu treffen. In ihrem Buch über Vergebung beschreibt sie diese Situation:

Als ich die letzte Kurve vor der Einfahrt meines Elternhauses nahm, sah ich bereits meinen Vater, wie er dastand und wartete. Der Zeitpunkt war gekommen, ihm wieder unter die Augen zu treten. Als ich den Motor meines Autos abstellte und den Zündschlüssel zog, kam er mir bereits entgegen. Ich öffnete die Autotür und er breitete seine langen Arme weit aus, umarmte mich fest und sagte: „Willkommen zu Hause!“

Ich war in diesem Moment eingehüllt in Gnade – unverdient, barmherzig, großzügig. Billy Graham war nicht Gott, aber er zeigte mir, was Gottes Gnade bedeutete. Nie wieder würde Gnade für mich ein gedankliches Konstrukt sein. Sie war von nun an eine persönliche Erfahrung.

Was ist Gnade? Das ist Gnade. Gnade ist, wenn man beschämt und voller Angst nach Hause zurückkehrt und etwas findet, mit dem man nicht gerechnet hätte. Wie formulierte es Ruth? Unverdient. Barmherzig. Großzügig. Das ist Gnade.

Und das widerfuhr auch Paulus. Unser Predigttext endet so:

Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr. Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde.

Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen.

Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen.

Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest. Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus.

Was für ein Ausgang dieser Begebenheit. Mit Hananias mögen wir mitfühlen: „Ähm… Jesus… vielleicht hast du die Gerüchte noch nicht gehört – aber Saulus – er ist gekommen, um mich gefangen nehmen und töten zu lassen.“ Aber Jesus sagt: „Geh nur hin! Du hast recht, Hananias, er verdient es nicht. Aber darum geht es auch nicht. Geh nur hin. Ich habe ihn erwählt. Ich habe ihn zuerst geliebt. Ich habe zu ihm gesprochen. Und ich habe ihn gerettet.“

Und schaut man auf die Details der Begebenheit, versteht man den christlichen Glauben: „Lieber Bruder“, nannte Hananias Paulus. Müsste es nicht Anwärter heißen? Oder Christ auf Probe? Nach dem Motto: Wir geben dir ein Jahr und schauen dann noch einmal. Aber nein: Bruder – vom ersten Tag an. Und Paulus ließ sich umgehend taufen. Umgehend wurde er vom Heiligen Geist erfüllt. Umgehend verbrachte er Zeit mit den „Jüngern in Damaskus“. Jede Religion oder Philosophie hätte von Paulus lebenslange gute Werke gefordert, um das wiedergutzumachen, was er zerbrochen hatte.

Aber aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken,

Und so war Paulus umgehend geliebt, gerettet und vergeben. Verdiente er nur eines dieser Dinge? Keinesfalls – denn das ist Gnade. Gnade bedeutet unverdiente Liebe. Paulus verdiente sie nicht und bekam sie dennoch. Er hatte kein Recht auf sie, keinen Anspruch, und doch wurde sie ihm gewährt. Paulus hätte es verdient, augenblicklich vom Erdboden verschluckt zu werden – stattdessen umhüllte Jesus ihn mit Liebe und Gnade. Und Gott sei Dank – diese Gnade gilt auch uns. Und so ist das Christentum keine Religion für die geistliche Elite. Es ist für Mörder wie Paulus und für Sünder wie uns. Es ist für gierige Zolleinnehmer wie Matthäus und Störenfriede – wie es viele von uns sind. Es ist für Prostituierte und solche, die lebenslang nur einen Partner hatten. Es ist für Zweifler und für solche, die mit ihren Dämonen kämpfen. Es ist für Geschiedene und für solche, die verlassen wurden. Es ist für vorbestrafte Sexualstraftäter ebenso wie für Helikopter-Mütter.

Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen! Amen.