Reminiszere, St. Petri 2022
Liebe Freunde in Christus!
Das Lukasevangelium – welches wir in den vergangenen Wochen immer wieder aufgeschlagen haben – berichtet uns nicht nur von all den großartigen Dingen, die Jesus für uns getan hat. Lukas erzählt uns ganz bewusst von menschlichen Tiefpunkten – von den Zerbrochensten aller Zerbrochenen. Kurz: von den größten Sündern. Und der Evangelist schreibt nicht einfach nur, dass Jesus während seines Erdenlebens eben einigen Sündern begegnete und ihnen half. Nein, Lukas, ist derjenige, der die Geschichte vom verlorenen Sohn wiedergibt, der den Reichtum seines Vaters mit Vergnügungen verschwendet. Lukas ist der Einzige, der von einer Frau zu berichten weiß, die in ihrer Heimat als große Sünderin berüchtigt war. Als Einziger erzählt der Evangelist die Geschichte des Zachäus, der Geld so sehr liebte, dass er alle Brücken abbrach und von vielen gehasst wurde. Lukas liebte es offensichtlich, sich mit den größten aller Sünder zu beschäftigen und uns von ihnen zu berichten, so dass wir uns niemals fragen müssen, ob wir zu Jesu Kirche gehören können oder nicht.
Eine Begebenheit sticht dabei besonders heraus. Es ist die Geschichte einer der engsten weiblichen Nachfolger Jesu: Maria von Magdala. Durch sie zeigt uns Lukas – und damit der Heilige Geist selbst – dass es keine Rolle spielt, wie zerbrochen wir sind. Denn die Zerbrochenen, die Gefangenen und die Verwundeten gehören zu Jesus. Ganz gleich, welche Geschichte sie haben und welches Geheimnis sie mit sich herumschleppen. Unser Predigttext stammt heute Morgen aus dem Lukasevangelium, Kapitel 8, und wir beginnen bei Vers 1. Dort schreibt der Evangelist:
Und es begab sich danach, dass Jesus durch Städte und Dörfer zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm,
Lukas berichtet uns zunächst von Jesu Werk. Durch die Städte und Dörfer Israels zog er mit seinen Jüngern, um zu predigen und so das Wort Gottes auszuteilen. Und worüber redet er? Über das Evangelium – die gute Nachricht – vom Reich Gottes. Darüber predigte Jesus ja ganz oft. Wir können uns das Reich Gottes vielleicht wie ein großes, wundervolles und himmlisches Schloss vorstellen. In dessen Mauern ist Jesus der König. Er hat die Autorität und stellt die Regeln auf, die in diesen Mauern gelten. Gleichzeitig aber errichtete der Heiland sichere Mauern um dieses Himmelsschloss. Mauern, die dessen Bewohner vor all den gefährlichen Dingen draußen schützen. Unsere Sünde, unsere Gegenwart, unsere Vergangenheit, unsere Kämpfe, unsere Scham und Schuld, der Tod, die Hölle, Satan und sein dämonisches Heer.
Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.
„Komm in das Reich Gottes und du bist vor all dem sicher und behütet, was dich belastet“, so predigte es Jesus immer wieder. Denn Autorität plus Sicherheit – das ist das Reich Gottes. Darüber sprach Jesus auch in unserem Text. Und die Zwölf waren mit ihm – die 12 Apostel. Gemeinsam zogen sie durch Städte und Dörfer. Aber es waren nicht nur diese 13 Männer, die Israel predigend durchwanderten. In unserem Text heißt es weiter:
dazu einige Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena,…, und Johanna, die Frau des Chuzas, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe.
Das stellt man sich vielleicht manchmal gar nicht so genau vor: Aber Jesus zog nicht nur mit 12 Männern durch die Lande. Auch Frauen waren in seinem Gefolge zu finden. Nicht nur für Petrus, Jakobus und Johannes sorgte Jesus, sondern auch für Maria, Johanna und Susanna. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Jesus diese Frauen als Apostel oder Predigerinnen ausgesandt hat. Aber sie spielten ganz offensichtlich eine wichtige Rolle in seinem Leben. Im Text heißt es:
die ihnen dienten mit ihrer Habe.
Wem dienten die Frauen mit ihrer Habe? Ihnen – den Aposteln. Oder mit anderen Worten: Petrus predigte – aber er brauchte die Unterstützung von Maria, Susanna und Johanna. Sie waren erfolgreich. Sie waren großzügig. Sie liebten Jesus und wollten, dass die gute Nachricht vom Reich Gottes verbreitet wird. Und so helfen diese erfolgreichen, wohlhabenden Frauen, den Dienst Jesu und der Apostel zu unterstützen. Was für ein Gedanke im ersten nachchristlichen Jahrhundert! Aber Jesus liebt eben Männer und Frauen, Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter im Reich Gottes.
Aber ich will unseren Fokus auf eine Formulierung des Textes lenken, die ich beim ersten Lesen mit Absicht ausgelassen habe. Denn dort hören wir von Marias Vergangenheit und vor allem von ihrer Zerbrochenheit. Im Text hieß es nämlich eigentlich:
dazu einige Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben böse Geister ausgefahren waren,
Sieben böse Geister! Können wir uns überhaupt vorstellen, wie zerbrochen Marias Leben gewesen sein muss, bevor sie auf Jesus traf? Stellt euch vor, ich würde sagen, dass gerade ein Mensch durch die Tür hereinspaziert ist, von dem ich annehmen muss, er sei von einem bösen Geist besessen. Wie würden wir reagieren? Mit Angst? Mit dem Impuls zur Flucht? Würden wir unsere Kinder zu uns heranziehen und ganz festhalten? Und unser Text sagt, dass Maria nicht von einem bösen Geist besessen war – auch nicht von zwei oder drei. Ganz sieben Dämonen waren es.
Wir wissen, was böse Geister sind. Sie sind gefallene Engel, die seit der Erschaffung der Welt existieren. Die Zeit seitdem haben sie gut genutzt, um zuzuhören und zu beobachten, wie wir Menschen am besten in Versuchung zu führen sind. Denn sie hassen Gott, seine Liebe und all jene, die zu ihm gehören. Diese suchen sie, wollen sie zerstören und geistlich töten. Sieben dieser bösen Geister trug Maria in sich. Können wir uns überhaupt vorstellen, wie ihr Leben Tag für Tag ausgesehen haben muss? 7 Stimmen im Kopf, die einen ständig anklagen und beschuldigen? Was hätten wir gedacht? Was hätten wir gesagt? Und was tat Maria? Was wurde ihr angetan? Lukas lässt all die hässlichen Details aus, was diese Dämonen mit dieser Frau getan haben. Aber wir können mit Sicherheit sagen, dass Marias Leben so nah an der Hölle war, wie das auf Erden überhaupt nur möglich ist.
Bis sie auf Jesus traf.
dazu einige Frauen, die Jesus gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben böse Geister ausgefahren waren,
Sieben Dämonen – ein Jesus. Und wer gewinnt? Wir kennen die Begebenheit, als Jesus einer ganzen Legion an Dämonen gegenüberstand. Und doch mussten sie Jesus um Gnade anflehen. Denn Jesus ist mächtig. Er ist der König des Reiches Gottes. Wenn er befiehlt, müssen sogar böse Geister weichen. So wie bei Maria.

Das Bild stammt aus Marias Heimatort Magdala und zeigt ein Mosaik. Wir sehen darauf Jesus, wie er neben Maria steht. Der Heiland zeigt mit seinem Finger auf sie – mit göttlicher Autorität – als der König des Reiches Gottes. Und was geschieht? Wenn man genau hinsieht, erkennt man es? 1, 2, 3, 4, 5, 6 – böse Geister plus die Schlange links unten. 7 Dämonen sind gerade dabei, aus Maria auszufahren. Jesus gebot ihnen – und sie mussten gehorchen. Er zeigte mit dem Finger als der Sohn Gottes auf sie. Und sie mussten vor ihm fliehen.
Könnt ihr euch den Moment vorstellen, nachdem sie das getan hatten; …als sie wieder denken konnte – ohne ihre sieben Ankläger in ihrem Kopf.; …als ihr Herz wieder frei schlagen durfte – ohne von sieben gefallenen Engeln infiziert zu sein? Maria liebte Jesus. Wir sehen das jedes Mal, wenn sie in den Evangelien auftaucht. Maria ist unter dem Kreuz zu finden. Sie ist bei Jesu Begräbnis. Am Ostermorgen bricht sie frühmorgens mit den anderen Frauen auf. Sie begegnet Jesus als erste nach dessen Auferstehung. Von Jesu Seite scheint sie nicht mehr gewichen zu sein. Denn er liebte sie. Er rettete sie. Er behütete sie und war für sie da.
Warum hielt Lukas die Geschichte – unter Eingebung des Heiligen Geistes – für uns fest? Warum schrieb er nicht einfach, dass da eine Frau namens Maria war, die ein bisschen Ballast mit sich herumtrug und dann bei Jesus war? Warum teilt Lukas uns ausdrücklich mit, dass Maria von sieben Dämonen besessen war? Die Antwort: weil die Gottes Wort so tief wie möglich geht; weil die Heilige Schrift auch denen Rettung anbietet, die an einem absoluten Tiefpunkt angelangt sind. Die Bibel erzählt euch und mir die Geschichten von Menschen, die nicht einfach nur ein bisschen unvollkommen waren. Sie berichtet uns von denen, denen es schlimmer als schlimm erging; von großen Sündern; von solchen, deren Leben zerbrochen war oder die ein wenig unheimlich anmuteten wie Maria. Denn für Jesus ist all das nicht zu viel, nicht zu schlimm, nicht zu zerbrochen. Oder mit anderen Worten: Die Zerbrochenen, Verwundeten und Gefangenen gehören zu Jesus. Es spielt keine Rolle, wie schlimm es um jemanden steht. Es spielt keine Rolle, wie lange dieser Zustand schon angedauert hat. Es spielt keine Rolle, wie peinlich und beschämend eine Sache ist. Können ein Petrus und eine Maria und ein Matthäus gerettet werden; können sie zu Jesus gehören, dann steht es ja fest: Wir dürfen das auch.
Ist es nicht genau das, was die Heilige Schrift von Seite 1 an berichtet? Denken wir an David, der vom Dach seines Palastes aus eine Frau namens Batseba anschmachtete. Er hatte große Lust auf sie – obwohl er sie nicht hätte haben sollen. Er schwängerte sie – obwohl er das nicht hätte tun sollen. Und im Nachgang log er und brachte dem Ehemann von Batseba sogar den Tod. Warum berichtet uns die Bibel von all dem?
Oder denken wir an Petrus. Vielleicht fällt uns seine Verleugnung ein. Vielleicht kommt uns die Begebenheit in den Sinn, als er bei Jesu Gefangennahme den Malchus mit einem Schwert verletzt. Vielleicht denken wir aber auch an die Gelegenheit, zu welcher Jesus ihn „Satan“ nennen musste. Warum berichtet uns die Bibel von all dem? Petrus war einer der wichtigsten Männer der frühen Kirche. Könnt ihr euch ihn vorstellen, wie er sich über die Schulter von Matthäus, Markus, Johannes uns Lukas lehnt und ihnen ins Ohr flüstert: „Schreib das ja nicht auf!“ Nein, seine Sündhaftigkeit ist in allen vier Evangelien zu finden. Warum? So dass wir genau wissen können; so dass wir uns sicher sein können: Die Zerbrochenen gehören zu Jesus.
Oder denken wir an Paulus. Er verfolgte die frühen Christen. Er brachte sie ins Gefängnis. Er applaudierte und freute sich wie ein Schnitzel, als Kinder Gottes hingerichtet wurden. Warum steht das in der Heiligen Schrift? Ja, warum wird der Apostel immer wieder konkret hinsichtlich seiner eigenen Sünde? Damit wir wissen: Wenn es schlimm ist – beschämend schlimm: Für Jesus ist es nicht zu viel. Denn die Zerbrochenen gehören zu Jesus.
Meine Lieben, unser Retter Jesus ist der König aller Könige. Er befreite Maria von sieben Dämonen. Er rettet echte Sünder. Seine Gnade reicht bis hinunter zum tiefsten Boden. Das war es auch, was Max Lucado erfahren durfte. Vielleicht habt ihr schon einmal von ihm gehört. Er ist ein recht erfolgreicher christlicher Autor. „Du bist einmalig“, so heißt beispielsweise eines seiner Kinderbücher.
In seinem kürzlich erschienen Band macht er ein Geständnis über sein geistliches Leben, das ein wenig beängstigend ist. Er berichtet, wie er vor etwa 10 Jahren sein erstes Smartphone bekam. Von der Post wurde es ihm direkt an seinen Arbeitsplatz in seine Kirche geliefert. Am Ende des Tages hatte er die Gelegenheit es auszupacken. Alle anderen aus seinem Büro waren schon nach Hause gegangen. Also packte er das Telefon aus. Und das erste, was ihm dabei in den Sinn kam, war das Folgende: „Das Internet ist gefährlich. Ich sollte wohl jemanden von unseren Technikern bitten, ein paar Filter auf dem Telefon zu installieren, so dass ich nicht in Versuchung gerate.“
Aber leider waren alle weg. Nun, nicht alle – einige böse Geister nutzten die Gelegenheit. Max Lucado – der berühmte Autor – tippte Worte in die Suchmaschine ein, die er besser nicht eingegeben hätte. Bilder von Frauen erschienen auf seinem Bildschirm, die er besser nicht angeschaut hätte. Gott sei Dank aber riss ihn der Heilige Geist aus seiner Trance. Er legte das Telefon beiseite und versprach sich, am nächsten Morgen – wenn seine Kollegen wieder da waren – Filter auf seinem Telefon installieren zu lassen, damit sich diese Sünde nicht wiederholt.
So fuhr er also heim, betrat sein Haus und begrüßte seine Frau. „Oh, ein neues Telefon?“, begrüßte sie ihn. Und bevor er sich versah, hatte seine Frau das Telefon auch schon in der Hand. Als sie es hochnahm, ging es an. Und was sah sie? Die Sünde ihres Mannes traf sie mitten ins Herz Max Lucado versuchte noch, es ihr zu erklären. Er wollte ihr sagen, dass er doch diesen Filter installieren lassen will. Er sagte ihr, dass es nur dieses eine Mal so gewesen war. Und auch nur kurz. Er versicherte seiner Frau verzweifelt, dass er sie liebte; dass er Gott liebte; und dass er das Telefon ganz schnell weggelegt und sich selbst dieses Versprechen gemacht hatte.
Aber es tat dennoch weh. Es war dennoch Sünde. Das Paar versuchte noch am selben Abend darüber zu reden. Aber die Unterhaltung war schwierig und die beiden fanden keine Lösung. Später versuchte Max Lucado zu schlafen. Aber seine Scham hielt ihn munter. Die Momente, in denen er einschlief, waren kurz und rar gesät in dieser. Am nächsten Morgen wachte der Autor auf. Er stolperte aus seinem Bett und fühlte sich noch immer so schlecht, wie ein Mann sich nur fühlen kann. Als er das Licht einschaltete, bemerkte er, dass seine Frau schon wach war. Sie wartete aber nicht im Badezimmer – wie sonst. Aber ihre Nachricht wartete auf ihn, die sie an diesem Morgen geschrieben hatte. Mit ihrem Lippenstift hatte sie ein riesiges Herz auf den Spiegel gemalt. In dem Herz waren drei Worte zu lesen: „Ich vergebe dir.“ Mitten an seinem Tiefpunkt erfuhr Max Lucado Vergebung. Ja, es würde Veränderungen geben müssen. Sünde zieht immer Konsequenzen nach sich. Aber mitten in seinem tiefsten Moment, gab es dennoch Gnade.
Meine Lieben, so ist Jesus zu uns. In den Momenten, wo wir vor lauter schlechtem Gewissen nicht ein noch aus wissen; in den Momenten, wo wir nicht schlafen können, weil wir einen Tiefpunkt erreicht haben; in den Momenten, wo wir geistlich schwierige Tage und Wochen hinter uns haben; in all diesen Moment ist und bleibt da immer Jesus. Woche um Woche hatten wir genau das gesehen: Jesus vergibt Menschen wie Petrus, die zu viel reden und Worten sündigen. Der Heiland rettet solche, die mit Wutproblem zu kämpfen haben – wie Johannes und Jakobus. Der Sohn Gottes deckt unsere Gier und unseren Geiz zu – so, wie er es für Matthäus getan hatte. Christus deckt die Sünden derer zu, die sich in Werke flüchten – wie bei Martha. Und Jesus befreit uns selbst von unseren größten Dämonen, von unseren größten Sünden – wie er es mit Maria getan hat. Kommen wir also mit der Wahrheit zu Jesus, der ganzen Wahrheit und nichts als der Wahrheit. Er kann damit umgehen. Lasst uns eine Kirche sein, die von gebrochenen Menschen gefüllt ist – von gebrochenen Menschen, die aber dennoch dazugehören und immer dazugehören werden, weil unser Erlöser so gnädig ist. Und so dürfen wir den heutigen Introitus zu unserem eigenen Gebet machen:
Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen ist. Dass nicht unsere Feinde über uns herrschen. Gott Israels, erlöse uns aus aller Not. Nach dir, Herr, verlangt mich. Mein Gott, ich hoffe auf dich; lass mich nicht zuschanden werden.
Meine Lieben, der Herr lässt uns niemals zuschanden werden. Denn Jesus nimmt die Sünder an.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.