Passionsandacht zu Johannes 12,1-11
von Pfarrer Michael Müller, Hartenstein
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Sechs Tage vor dem Passafest kam Jesus nach Betanien, wo Lazarus war, den Jesus auferweckt hatte von den Toten. Dort machten sie ihm ein Mahl und Marta diente ihm; Lazarus aber war einer von denen, die mit ihm zu Tisch saßen. Da nahm Maria ein Pfund Salböl von unverfälschter, kostbarer Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füße; das Haus aber wurde erfüllt vom Duft des Öls.
Da sprach einer seiner Jünger, Judas Iskariot, der ihn hernach verriet: Warum ist dieses Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft worden und den Armen gegeben? Das sagte er aber nicht, weil er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb, denn er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was gegeben war. Da sprach Jesus: Lass sie in Frieden! Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit.
Liebe Mitchristen!
Sogar noch auf seinem schweren Weg nimmt sich Jesus Zeit für seine Nachfolger. Auf seinem letzten Weg nach Jerusalem besucht er alte Freunde. Es sind die uns bekannten Schwestern Marta und Maria und ihr Bruder Lazarus:
„Sechs Tage vor dem Passafest kam Jesus nach Betanien, wo Lazarus war, den Jesus auferweckt hatte von den Toten. Dort machten sie ihm ein Mahl und Marta diente ihm“ (Joh 12,1).
Während Jesus im Gespräch vertieft ist mit seinem Freund, seinen Jüngern und vielleicht anderen Gästen, tritt Lazarus Schwester von hinten an Jesus heran. Sie hält ein Glas mit wertvollem Salböl in ihrer Hand:
„Da nahm Maria ein Pfund Salböl von unverfälschter, kostbarer Narde und salbte die Füße Jesu“ (Joh 12,3).
Sie übergießt Jesus förmlich damit. Sie schüttet das ganze Glas über Jesus aus. Von Matthäus und Markus, die uns diese Begebenheit in Betanien ebenfalls berichten, wissen wir, dass Maria auch einen Teil auf Jesu Kopf schüttete. Mit großer Demut trocknet sie Jesus anschließend mit ihren Haaren die Füße. War das ihre Art, Jesus Danke zu sagen, dafür, dass er ihr ihren Bruder wiedergeschenkt hatte? Oder wollte sie nur allgemein ihre Liebe zu ihrem Heiland ausdrücken? Jesus jedenfalls nutzt diese Gelegenheit, um ein weiteres Mal auf seinen nahen Tod hinzuweisen und sagt:
„Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses“ (Joh 12,7).
Aber nicht alle im Raum sind begeistert von Maria. Als erstes meldet sich Judas:
„Da sprach einer seiner Jünger, Judas Iskariot, der ihn hernach verriet: Warum ist dieses Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft worden und den Armen gegeben?“ (Joh 12,1).
Mit einem sehr genauen Blick für den Wert der Dinge, schätzt Judas ein, wie viel Geld gerade in seinen Augen verschwendet wurde. Wie bei einem Krimi, wo man von Anfang an weiß, wer am Schluss der Mörder ist, klärt uns Johannes über die bösen Absichten Judas ganz genau auf. Viel früher als in den anderen Evangelien erfahren wir bei Johannes, dass Judas später zum Verräter an Jesus werden wird. Und wir erfahren auch von Johannes, dass es nicht Nächstenliebe war, die Judas hier protestieren lässt:
„Das sagte er aber nicht, weil er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb, denn er hatte den Geldbeutel und nahm an sich, was gegeben war“ (Joh 12,6).
Judas verwaltete das Geld der Jünger. Und aus dieser gemeinsamen Kasse bereicherte er sich immer wieder. Als er sah, welch immensen Wert, Maria da einfach so vergeudete, rechnete er nicht aus, wie viel Brot man dafür für arme Leute hätte kaufen können. Er dachte nur daran, wie viel dadurch seinem eigenen Geldbeutel verloren ging. Diese Geldgier war es ja dann schließlich auch, die ihn dazu brachte, seinen eigenen Herrn zu verraten. Die dreißig Silberstücke, die er dafür von den Männern des Hohen Rates angeboten bekam, waren einfach zu verlockend.
Abgesehen davon, dass Judas sich aus der gemeinsamen Kasse bediente, hatte er ja irgendwie Recht. Das Salböl was Maria hier einfach so ausgoss, hatte einen Wert von 300 Silbergroschen oder 300 Denare. Und das entsprach damals fast dem Wert eines ganzen Jahresgehaltes. Und das wurde hier von Maria in einem Moment mal eben so ausgeleert. Aus dem Matthäusevangelium erfahren wir, dass Judas nicht der einzige blieb, der da protestierte. Auch die anderen Jünger beschwerten sich über Maria:
„Als das die Jünger sahen, wurden sie unwillig und sprachen: Wozu dies Vergeudung? Es hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können“ (Mt 26,8f).
Das sollte uns zu Denken geben. Wir sollten lieber einmal mehr nachdenken, bevor wir in eine Kritik einstimmen. Die anderen Jünger sind hier auf die Worte eines Betrügers reingefallen und haben sich die Argumentation des späteren Verräters zu eigen gemacht.
Hinter einer Kritik, die in einer Gemeinde oder Kirche geäußert wird, können falsche Beweggründe stecken. Judas gab sich als ein Freund der Armen aus und war doch ein Dieb. Jesus kennt die falschen Beweggründe von Judas, aber er deckt sie hier noch nicht auf. Er lässt die anderen Jünger in dem Glauben, dass Judas tatsächlich an den Armen gelegen war. Aber er verteidigt Maria und gibt den wichtigen Hinweis:
„Lass sie in Frieden! Es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit“ (Joh 12,7f).
Es muss für uns keine Entscheidungsfrage sein: Sollen wir Jesus und seiner Kirche etwas spenden oder sollen wir Menschen etwas abgeben, die weniger haben als wir? An unserer Geschichte heute Abend sehen wir, dass Jesus sich über Beides freut: Wenn wir ihm unsere Liebe zeigen und wenn wir an die denken, denen es nicht so gut geht.
Und an dieser Geschichte sehen wir noch etwas: wenn es darum geht, Jesus unsere Liebe zu zeigen, da brauchen wir nicht zu sparen. Jesus ging auch verschwenderisch mit seinem Leben und Blut um, als darum ging, uns zu retten.
Dass Jesus hier von Maria mit kostbarem Salböl übergossen wird, ist nicht das einzig bemerkenswerte an dieser Mahlzeit in Betanien. Bemerkenswert ist auch einer der Gäste, die am Tisch sitzen. Johannes weist uns noch einmal ausdrücklich auf ihn hin:
„Lazarus aber war einer von denen, die mit ihm zu Tisch saßen“ (Joh 12,2b).
Lazarus hätte gar nicht hier sein dürfen. Er war doch schon gestorben! Da saß ein Mann am Tisch, der schon vier Tage in seiner Grabhöhle gelegen hatte. Die Verwesung hatte bei ihm schon eingesetzt. Und jetzt saß er neben Jesus am Tisch und aß Abendbrot mit ihm. Ja, Jesus, hatte an seinem guten Freund Lazarus das Wunder getan, dass uns von allen Wundern Jesu vielleicht am allermeisten trösten kann. Lazarus war tot gewesen. Und dann kam Jesus. Da kam einer, der sogar etwas gegen den Tod machen kann.
Sein Freund lag schon seit vier Tagen in einer Grabhöhle. Und Jesus stellt sich davor und sagt nur drei Worte: Lazarus, komm heraus! Und er kommt tatsächlich heraus. Und nun sitzt Jesu Freund wieder mit am Tisch – als ob nie etwas gewesen wäre. Dieses Wunder von Jesus ist deshalb so tröstlich für uns, weil es zeigt: Auferstehung ist nicht nur für unseren Heiland Jesus gedacht. Jesus ist von den Toten auferstanden, damit wir auch auferstehen werden. Bei den drei Worten, die vor dem Grab seines Freundes sprach, kannst du deinen eigenen Namen einsetzen. Jesus wird, wenn es soweit ist, vor deinem Grab stehen, deinen Namen sagen und dich aus deinem Grab rufen. Dich und alle, die an seinen Namen geglaubt haben. Und unsere Namen muss Jesus nicht erst von unserem Grabstein ablesen. Er kennt sie schon seit Ewigkeit her. Denn ehe der Welt Grund gelegt, war, da hat er uns zum ewigen Leben vorherbestimmt (vgl. Röm 8,29f; Eph 1,4f).
Ja, man kann im Prinzip keine Passionszeit begehen, ohne dass das herrliche Osterfest seine Freudenstrahlen hineinwirft. Das leere Grab, was Lazarus hinter sich zurücklassen durfte, ist ein Hinweis auf das leere Grab Jesu. Und sein leeres Grab ist ein Versprechen, dass auch wir von den Toten auferstehen werden. Daran kann nichts etwas ändern. Auch kein Virus, der in diesen Tagen die ganze Welt lahmlegt. Der Tod darf uns nicht für immer behalten. Christus hat ihn besiegt. Und Maria hat ihn in Betanien schon für seine Beerdigung gesalbt. Auch unsere Schuld kann uns nicht mehr zum Tod verurteilen. Christus hat sie getragen.
Amen.
Lied: Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken (LG 93)
1. Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken, mich in das Meer der Liebe zu versenken, die dich bewog, von aller Schuld des Bösen uns zu erlösen.
2. Ganz eins mit Gott, ein Mensch gleich uns auf Erden und bis zum Tod am Kreuz gehorsam werden, an unsrer Statt gemartert und zerschlagen, die Sünd zu tragen.
3. O welche heilgen wunderbaren Taten! Sinn ich dem nach, will meine Kraft versagen. Mein Herz erbebt, ich seh und ich empfinde den Fluch der Sünde.
4. Gott ist gerecht, ein Rächer alles Bösen. Gott ist die Lieb und lässt die Welt erlösen. Dies kann mein Geist mit Schrecken und Entzücken am Kreuz erblicken.
5. Seh ich dein Kreuz den Klugen dieser Erden ein Ärgernis und eine Torheit werden: So seis doch mir, trotz allen frechen Spottes, die Weisheit Gottes.
6. Es schlägt den Stolz und mein Verdienst darnieder, es stürzt mich tief, und es erhebt mich wieder, lehrt mich mein Glück, macht mich aus Gottes Feinde zu Gottes Freunde.
7. Da du dich selbst für mich dahingegeben, wie könnt ich noch nach meinem Willen leben? Und nicht vielmehr, weil ich dir angehöre, zu deiner Ehre.
8. Ich will nicht Hass mit gleichem Hass vergelten, wenn man mich schilt, nicht rächend wiederschelten. Du Heiliger, du Herr und Haupt der Glieder, schaltst auch nicht wieder.
9. Unendlich Glück! Du littest uns zugute. Ich bin ver-söhnt in deinem teuren Blute. Du hast mein Heil, da du für mich gestorben, am Kreuz erworben.
10. Wenn endlich, Herr, mich meine Sünden kränken, so lass dein Kreuz mir wieder Ruhe schenken. Dein Kreuz, dies sei, wenn ich den Tod einst leide, mir Fried und Freude.
Text: Christian Fürchtegott Gellert 1757
Melodie: Herzliebster Jesus, was hast du verbrochen